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Donnerstag, 12. Oktober 2017

Reportage zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Arbeit aus meinem Autorenstudium)


Mit grauem Schleier überzogene grüne Wiesen

Ein sonniger, warmer Mai-Montag und trotzdem bekomme ich ein beklemmendes Gefühl in der Magengegend als ich an der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ankomme. Vor über 70 Jahren hat sich hier ein Teil der schlimmsten Geschichte Deutschlands abgespielt. Obwohl sie heute als Gedenkstätte und Lernort erhalten bleibt, taucht der freie Geist schnell in die schreckliche Geschichte ein.


Vor dem einstigen Lagereingang, welcher noch heute als Haupteingang fungiert, steht ein Schild auf welchem man nachlesen kann wie bereits hier mit den Häftlingen umgegangen wurde, noch bevor sie ins Innere gelangten und ihrer Menschenwürde und Selbstbestimmungsrechte beraubt wurden. Wer nicht in der vorgeschriebenen Haltung in Reih und Glied marschierte, mit den Armen fest am Körper, wurde von den SS-Leuten willkürlich mit Hieben und Fußtritten bestraft.

Heute bleibt man diesen Schikanen fern, doch kurz darauf finde ich mich auf dem Appellplatz wieder. Ich bedenke, dass es bereits halb zehn Uhr morgens ist. Damals standen die Häftlinge bereits um fünf Uhr morgens in einer Linie nebeneinander. Selbst im Winter trugen sie nur Holzschuhe, Jacken und gestreifte Kleidung, welche sie nur schlecht gegen die Wetterbedingungen schützten. Morgens und Abends wurden sie auf diesem Platz gezählt und dies konnte sich über Stunden hinziehen, wenn dabei etwas nicht stimmte. Auch die Essensverteilung erfolgt hier. Morgens gab es eine warme, dünne Suppe, die man Kaffee nannte. Zum Mittag wurde eine extrem verdünnte Gemüsesuppe mit wenig Fett gereicht, welche meist aus Steckrüben bestand. Nur die Schwerstarbeiter bekamen zusätzlich ein Stück Brot mit etwas Margarine oder Käse. Abends wurde die Brotration für den nächsten Tag verteilt und sollte ursprünglich das Frühstück sein, doch alle Häftlingen verspeisten es bereits. Somit diente es einem Abendbrot.

Ich gehe links an den Umrissen des ehemaligen Block 5 vorbei - der damalige Prominentenblock. Die Häftlinge, die in diesem Block wohnen durften, waren von der SS als Bedienstete eingestellt worden und arbeiteten als Schreiber oder Bedienung im SS-Kasino. Hier wurde auf Sauberkeit, Hygiene, genügend Verpflegung und gutes Aussehen geachtet, da der Lagerschreiber Herbert Schemmel und der Lagerälteste einsaßen. Dieser Block diente auch als Vorzeigeblock für gelegentliche Besichtigungen des KZ Neuengamme.

Über vier Stunden befinde ich mich auf dem 57 Hektar großen Gelände, welches zwischen den grauen Gebäuden viele Wiesen und Grünflächen beherbergt. Vorbei an ehemaligen SS-Wachtürmen, SS-Garagen und SS-Lagergärten, zu den internationalen Mahnmalen, das Haus des Gedenkens und zahlreichen Gedenksteinen, an dem ehemaligen Kommandantenhaus vorbei - welches damals von der Max Pauly Familie bewohnt wurde, über das Geländer der Metall-, Hammer- und Ausrüstungswerke von Neuengamme, führt mich mein Weg noch an dem KZ-Bahnhof vorbei, welcher auch ein Anschlussgleis an meine Geburtsstadt Geesthacht hatte. Als ich wieder über den SS-Lagereingang den Appellplatz beschreite, zieht es mich nach rechts. Auch dort sind noch Umrisse vorhanden von Krankenrevieren, Leichenkammern, Entlausgungs- und Arrestbunkern. Auch eine Sonderbaracke stand hier - die frühere Bezeichnung für Bordell. Erst 1944 wurde diese abgezäunte Sonderbaracke erstellt, in der unzählige weibliche Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück (einem reinen Frauenstraflager) vergewaltigt wurden, nachdem sie nach Neuengamme “versetzt“ worden waren.

Bevor ich mit schmerzenden Füßen das Gelände verlasse, bin ich in Gedanken nochmals bei all denen, die dieses Lager nicht lebend verlassen konnten - die über 22.460 Menschen, welche erschlagen, ertränkt, erhängt, erschossen, mit Giftgas, Benzin oder Penthol ermordet wurden und auch denen, die am Hungertot starben, weil der eigene Körper den Qualen nicht mehr standhalten wollte.

Von 1938 bis 1945 war das KZ Neuengamme das größte KZ in Nordwestdeutschland. Sieben Jahre, die noch heute über dieses größtenteils grünbewachsene Gebiet einen grauen Schleier ziehen.



Möchtest du auch mal zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme?

Die findest du hier:
Jean-Dolidier-Weg 75
21039 Hamburg
Weitere Infos findest du auf der Internetseite:
KZ Gedenkstätte Neuengamme

Kleiner Tipp: Prüfe vorher wann wieder ein Zeitzeugengespräch angekündigt ist. Sie sind sehr aufschlussreich!

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